Mit dem Schiff von Hamburg nach Harwich und zurück – April 1998
Im April 1998 brach ich zu meiner allerersten richtigen Schiffsreise auf. Nicht mit dem Butterdampfer, die es damals noch gab und die ich auch sehr liebte, sondern ein richtiges Schiff. Eines, das nicht nach einer halben Stunde Aufenthalt in Dänemark wieder umkehrte. Wobei ich die auch liebte, immerhin war ich an der See (ein Dorf unweit von Eckernförde) groß geworden.
So kam es also, dass ein Freund der Familie mich für die Osterferien in sein Cottage nach England einlud. Meine Eltern waren anfangs nicht so recht überzeugt, ihr Kind "alleine" in den Urlaub fahren zu lassen. Aber die Aussicht auf einen kostenlosen Sprachurlaub in England stimmte sie gnädig. Außerdem wusste Klein-Vanessa schon damals was sie wollte und das war: weg. Bis dahin war ich erst zwei Mal in Dänemark im Urlaub gewesen und die genannten Butterfahrtsaufenthalte, und jetzt so richtig ins Ausland, was mehr als 2 Stunden Autofahrt entfernt war! Wahnsinn!
K. schickte mir schon Wochen vorher Briefe, auf Englisch, in welchen er mir lang und breit erzählte, wie die Überfahrt auf dem Schiff von Statten gehen würde. Mit der Prince auf Scandinavia würden wir von Hamburg aus losfahren, er schrieb mir von der Auslaufhymne, von der Kabine, die wir hätten und vom großartigen Buffet. Damals hatte kaum ein Privathaushalt einen Internetzugang, also waren die maschinengetippten Briefe das Pooldeck mit Vorfreudecountdown in einem.
Als es dann endlich in den Osterferien losging, wurde mir plötzlich doch ein wenig mulmig, so alleine mit einem Mann, den ich eigentlich gar nicht kannte. Natürlich kannte ich ihn, vor allem von den tollen Nachkriegsgeschichten die er erzählte, aber ein Urlaub war nun doch was anderes. Egal, mich plättete erst mal das Schiff und entschädigte für einiges. Mit dem Auto ging es in den Bauch, eng an eng parkten wir und nahmen nur kleines Gepäck mit. Und wir hatten eine Kabine! Feudal, sage ich euch! Innenliegend, mit Pullmanbetten, eigenem WC und einer Dusche! Ich bekam mit, dass nicht jeder Passagier eine Kabine für die 24 Stunden lange Überfahrt nach Harwich hatte. Einige mieteten sich Schlafsessel und so kam ich mir vor wie eine Königin! Ich war gerade 12 Jahre alt geworden und konnte behaupten, auf einem Schiff in einer Kabine übernachtet zu haben. Wahnsinn! Ehrlich, wenn ich das jetzt so schreibe, erinnere ich mich noch daran, wie unglaublich reich ich mich in dem Moment fühlte, obwohl ich natürlich gar nichts für die Tour bezahlt hatte.
Das Auslaufen an Deck war so, wie K. es versprochen hatte. Mit Musik, mit winkenden Menschen am Kai und die Ausfahrt aus Hamburg war natürlich traumhaft schön. Das Wetter spielte auch mit und so konnten wir (wir fuhren gegen Nachmittag aus) noch lange die schöne Fahrt genießen.
Abends gingen wir in ein Buffetrestaurant, das so tolle Speisen hatte, dass ich gar nicht wusste, wohin mit mir. Es gab sogar Hummer! Den ich aber nicht aß, ich finde diese Tiere einfach viel zu schön, um sie zu essen. Zudem war ich seit 3 Jahren Vegetarier und verschmähte daher einen beachtlichen Teil des Angebotes. Aber ich erinnere mich daran, dass es trotzdem köstlich war.
Den Abend verbrachten wir in einer Bar, an welcher die eine oder andere Tanzvorführung stattfand. Aber irgendwann wusste ich nicht mehr, was ich mit dem "alten Mann" (so Mitte 50 etwa) reden sollte und verschwand unter dem Vorwand, in die Kabine zu wollen. Was ich stattdessen tat? Ich ging an Deck und starrte in den Sternenhimmel. Titanic lief einige Monate zuvor im Kino und ich stellte mir vor, dass sie in einer solchen Nacht gesunken sein musste. Das Meer war spiegelglatt, die Luft kühl und der Himmel einfach nur wunderschön.
Ich schlief gut, das weiß ich noch und als ich am nächsten Morgen erwachte, waren wir schon fast in England.
Der Urlaub war übrigens nicht das, was ich erwartet hatte. Ich wurde überall vorgestellt, musste viel einfach ruhig dasitzen und mit älteren Herrschaften Tee trinken. Das einzige, was ich von England sah, war die Landschaft. Nun war K. dort zwar beheimatet, aber er fand, dass es reichte, mir immer nur zu erzählen, wo wir waren, mir einmal für zehn Minuten die Landschaft zu zeigen und dann ging es zurück ins Auto zur nächsten Tea-Time. London habe ich komplett zu Fuß erkundet, bin aber nirgends reingegangen, weil das alles viel zu teuer war.
Kein Urlaub, den man sich als 12jährige so wünscht. K. konnte zwar unglaublich gut mit Menschen in seinem Alter und älter sprechen, aber nicht mit einem Teenager. Zu allem Überfluss wurde mir auch noch im Urlaub bewusst, dass meine Titanic-Liebe zu Kate Winslet wohl doch nicht so ganz normal war, wie ich dachte. Tja, komische Erkenntnisse kommen einem, wenn man nicht weiß, was man reden soll. Also wurde mein Tagebuch mein bester Freund, ich träumte von Kate und fragte mich, ob es wohl sehr schlimm ist, dass ich Leonardo nicht so toll fand, wie alle anderen Mädchen in meiner Klasse.
Je länger der Urlaub dauerte, desto mehr freute ich mich auf das Schiff. Und auch dieser Tag kam irgendwann. Das tolle Schiff von außen zu sehen, gab mir gleich das Gefühl von Heimat. Die Fahrt in den Bauch, die Kabine, das tolle Buffet zu Abend, die See bei Nacht. Ja, ich war ein reiches Mädchen. Ich fuhr mit dem Schiff, ich war im Urlaub, und das ganz außer der Reihe. Ich konnte in der Schule erzählen, dass ich weg gewesen war. Und mein englisch war nach diesen zwei Wochen unter Einheimischen tatsächlich ziemlich gut geworden.
Ich wünschte mir, noch ganz oft Schiff fahren zu können und auch, England mal unter anderen Umständen besuchen zu dürfen. Beides hat sich erfüllt. Und als K. vor einem Jahr gestorben ist habe ich doch ein bisschen um ihn geweint und ihm für meine erste Schiffsreise und meine Liebe zu England gedankt.
P.S. Bilder gibt es keine, ich besaß keinen Fotoapperat...