
Mittwoch, 18.09.2019 (zurück in Hamburg)
Nun ist er also doch gekommen. Dieser fiese Moment am letzten Morgen. Fast die ganze Nacht konnte ich deshalb nicht schlafen. Am Fenster stehend habe ich die Sonne aufgehen sehen auf unserem Weg zurück in den Hamburger Hafen. Ich habe die Silhouette dieser Stadt, den Burchardkai, die Türme des Michel und der St. Katharinenkirche, den Umriss der Elphi im dunstigen Schleier dieses frühen Morgens in mich aufgesogen, als wäre es das letzte Mal.
Aber es ist das letzte Mal. Dies soll nun wirklich mein letzter Morgen an Bord dieses Schiffes sein – nichts anderes beherrscht meine Gedanken. Und ich fasse einen Entschluss.
Zunächst einmal gehen wir noch frühstücken. Unsere Sachen sind natürlich bereits fertig gepackt und ich weiß es so einzurichten, dass sich in meinem Fotorucksack alle wichtigen Dokumente und Kreditkarten befinden. Mein Mann ist ahnungslos – und das ist auch besser so!
Just in dem Moment als wir die Kabine verlassen und uns auf den Weg zur Ausschiffung machen wollen – mein Mann steht schon auf dem Gang – da sage ich: „Mist. Ich muss noch mal ins Bad. Geh Du doch schon mal vor.“
‚Es ist besser, wenn Du nichts weißt, Baby.’
Ein Satz wie er in den „Stirb langsam“-Filmen unzählige Male gefallen ist.
Ich schließe die Tür wieder hinter ihm, schleppe einen der Sessel heran und verkeile ihn unter der Tür. Das hab ich auch im Film gesehen und es hat immer funktioniert. Fernsehen bildet.
„Ich will hier nie wieder weg.“, erinnert ihr Euch an meinen ersten Satz als ich vor fünf Tagen diese Kabine betrat?
Wieder am Fenster stehend frage ich mich, was dieser Tag noch bringen wird. Noch könnte ich zurück, aber das ist nur eine theoretische Möglichkeit. Ich zieh das hier jetzt durch!
Irgendwann klopft es an der Tür. Auf dem Gang wird nach mir gerufen. Dann ist wieder Ruhe. Aber ich mache mir keine Illusionen. So einfach wird es nicht sein.
Zehn Minuten später wieder Getrappel vor meiner Tür. Diesmal sind es mehr Stimmen.
„Mrs. Ho…, sind Sie da drin? Geht es Ihnen gut?“
‚Ist mir nie besser gegangen.’
Eine Karte wird ans Schloss gehalten. Natürlich geht die Tür nicht auf. Dafür hab ich ja gesorgt.
Guter Film!!!
Wieder Stimmen. Ein zweiter Versuch mit der Schlüsselkarte. Gleiches Ergebnis.
Sehr guter Film!!!
Erneut ist ein paar Minuten Ruhe. Ein kurzer Aufschub!
Ein mächtiges Wummern gegen die Tür lässt die Fenster erzittern.
Gut – dann soll es wohl so sein.
Ist Euch schon mal aufgefallen, dass wenn in einem Film irgendwo eine Tür aufgetreten werden soll, davor immer relativ viel Platz zum Anlaufnehmen ist? Ein breiter Flur, ein anderes großes Zimmer, ein Riesenhauseingang. Das alles gibt es hier nicht. Das hier ist das wahre Leben – nicht im Ansatz vergleichbar mit einem Drehbuch.
Irgendeine Möglichkeit müssen sie dann aber doch gefunden haben, denn urplötzlich bricht mit einem ohrenbetäubenden Knall die Tür komplett aus den Angeln. Gerade noch so kann ich mich ducken, bevor eines der Sesselbeine nur ganz knapp neben mir in die Fensterscheibe einschlägt.
Immer noch stehe ich in der entferntesten Ecke des Raumes und nehme die Truppe, die sie mir geschickt haben, in Augenschein. Was für ein netter erster Eindruck!
Immerhin: ein Offizier. Anfang dreißig – höchstens. Ausgeprägte Muskeln genau an den Stellen, wo Frau sie erwartet und wo sie gemeinhin auch hingehören. Zumindest soweit ich das erkennen kann. Dies alles verteilt auf geschätzten einsachtundachtzig mit blonden Haaren und meergrünen Augen.
Ja, ich weiß – dieser Mann ist das pure Klischee, aber ich kann’s doch auch nicht ändern.
Was mich allerdings endgültig aus der Fassung bringt, ist diese weiße Uniform. Keine Ahnung, ob es anderen Frauen genauso geht, aber auf mich machen Männer in Uniform wahnsinnig Eindruck.
Um Euch den Anblick, der sich mir bietet etwas vorstellbarer zu machen, empfehle ich, Euch Richard Gere in „Ein Offizier und Gentlemen“ vorzustellen. Und zwar die Szene am Ende, wo er seine Freundin (deren Namen ich mir nie merken konnte und der - ich muss es leider so sagen – weder für die damalige noch für die heutige Geschichte irgendeine Relevanz hat) auf den Armen aus dieser Fabrik rausträgt und dabei diese unwahrscheinlich schicke tolle einen wahnsinnsbodymachende maßgeschneiderte schneeweiße Uniform anhat. Die etwas Älteren unter Euch werden sich möglicherweise erinnern.
Ich liebe dieses Happy End. Allerdings befürchte ich, bei mir wird es mehr End sein und weniger Happy haben.
Dieser durchtrainierte Adonis kommt also langsam auf mich zu. Seine Lippen bewegen sich – er scheint mit mir zu reden. Und während ich noch darüber nachdenke, warum ich denn nichts höre, reagiere ich leider die Winzigkeit einer Sekunde zu spät. Schon hat er mich um die Hüften gepackt und versucht, mich Richtung Ex-Tür zu ziehen.
DAS IST ABER NICHT NETT!!! Sowas hätte Richard niemals nötig gehabt!
Immerhin hab ich es kurz vor dieser Aktion noch geschafft, mit der einen Hand die Gardine und mit der anderen die Fensterbrüstung zu packen. Dort krall ich mich nun fest.
Er zerrt immer noch an mir, sodass ich die Fensterbrüstung sausen lassen muss und mich mit beiden Händen in der Zimmerdeko verbeiße.
Inzwischen hat er mich ausgehoben und ich hänge nun fast waagerecht in der Luft – die Gardine mit mir.
Während er weiter probiert, mich Richtung Ausgang zu bugsieren, kann ich mich in seinen Armen etwas drehen und meine Füße versuchen nun, nach diesem verkappten Unterwäschemodel zu treten.
Was für eine absurde Situation!
Er strebt nun noch entschlossener mit mir auf seiner Schulter Richtung Ausgang und da macht es plötzlich "klick" und kurz darauf nochmal "klick" und dann "klickklickklickklick". Der Schwerkraft folgend reißen nun alle Gardinenklipse aus ihrer Halterung.
'Wenn du gedacht hast, ich lasse das Stück Stoff nun los, hast du dich aber geschnitten!'
In dem Moment in dem er mit mir auf den Gang einbiegt, hole ich aus und lasse die Ex-Gardine wie ein Wurfnetz in Richtung seiner Begleiter segeln.
Volltreffer! Die sind wir erst mal los!
Da meine Hände ja nun wieder frei sind versuche ich, irgendwo anders Halt zu finden. Dieser Aktion fallen leider die meisten der teuren Gemälde, die hier an den Wänden des Kabinenganges hängen, zum Opfer.
Au Backe!
Wenn ich sie einfach nur runtergerissen hätte, würde es ja noch gehen! Aber aus meiner erhöhten Position auf seiner Schulter komme ich prima an die Düsen der Springleranlage...
Und - ihr ahnt es, oder?
Den anderen sei gesagt: Wenn man diese Dinger erst mal aus der Decke rausgerissen hat, dann erledigt das ausspritzende Wasser den Rest!
Und schwups, den schnieken Teppich können sie gleich mit abschreiben!
Inzwischen sind wir sind an dem Fahrstuhl angekommen und ich merke, dass der Recke unter mir nun doch so langsam anfängt, zu schnaufen. Es ist eben doch ein Unterschied ob man in der Muckibude Gewichte stemmt oder ..hmhmh..zig Kilo geballten Willen auf den Schultern trägt.
Allen Frauen, die wie ich, einige Kilo zu viel mit sich rumschleppen sei gesagt: Das hat auch Vorteile. Frau muss sie nur finden. Und ich finde!
Als er dann nämlich etwas atemlos vorm Fahrstuhl Anstalten macht mich abzusetzen, nutze ich das Überraschungsmoment, drehe mich blitzschnell in seinen Armen und komme frei.
Ich stemme mich rechts und links am Fahrstuhlzugang ab, hole aus, schwinge mich hoch und trete mit beiden Beinen gegen die Heldenbrust des schmucken Offiziers.
Hah! Um so gelenkig zu sein wie ich, hätte sich selbst Jackie Chan in seinen besten Zeiten erst mal ´ne halbe Stunde warmturnen müssen! Das "Uff" des Recken kommt zeitgleich mit dem "Pling" der Fahrstuhltür. Wo fahr ich überhaupt hin?
Aufgrund seiner übersichtlichen Größe als Expeditionsschiff gibt es hier nur acht Decks, fünf davon für Passagiere. Ich lande folgerichtig da, wo normalerweise das Bordleben tobt - auf Deck sieben. Hier befinden sich die Observatory Lounge mit der Glaskuppel und der Spa- und Fitnessbereich. Damit scheine ich hier die besten Chancen zu haben, mich unentdeckt zu verschanzen.
Ich muss ja nur so lange "durchhalten", bis das Schiff heute Abend den Hamburger Hafen wieder verlässt.
Die World Explorer geht dann auf eine weitere Reise südwärts entlang der Westküste Europas. Dabei werden so seltene Häfen wie Brügge, Saint-Malo oder Port Médoc angelaufen - echte Traumziele, in die man mit den großen Pötten niemals direkt kommen wird. Das Schiff macht seinem Namen damit wirklich alle Ehre und ich will mehr davon - ganz viel mehr! Ist das denn wirklich so schwer zu verstehen?
Ich meine, es hätte doch so simpel sein können! Lasst mich einfach hier - und alles ist gut!
Ich würde mich ja auch nützlich machen, so isses ja nich!
Kreuzfahrtdirektorin z.B. würde mir liegen - mal so als Angebot.
Und an Seetagen könnte ich höchstpersönlich zur Unterhaltung beitragen, indem ich Lesungen aus meinen Reiseberichten anbiete. Zu irgendwas muss das ganze Geschreibsel doch taugen!
Aber wenn ihr das nicht auf die nette Tour wollt, dann eben so!
Suchend sehe ich mich um. Also: die Lounge scheidet schon mal aus: Zu wenig Möglichkeiten, sich zu verstecken. Und mal ganz im Ernst: Mich unter einem Tisch zu verkriechen ist nun echt unter meiner Würde.
Daher wende ich mich dem Spa-Bereich zu. Etwas orientierungslos laufe ich zunächst durch die Räume. Als ich dann nach einer gefühlten Ewigkeit die Tür zu einem kleinen Lagerraum öffne, sehe ich meinen Plan so glasklar vor mir, wie einen Bergsee in der Morgensonne...