Tag 4 - Vorsicht bei Zusatzleistungen
Sonnenstrahlen streicheln über mein Gesicht...
Eine kaum wahrnehmbare sanfte Brise weht durch die - einen Spalt breit offene - Balkontür herein...
Die so lange vermisste Frische von Meeresluft erfüllt den Raum...
Ein leichtes Raunen, wenn sich andere Gäste auf dem Gang leise unterhalten...
Das erste Mal auf dieser Reise werde ich so geweckt, wie sich das auf einer Kreuzfahrt gehört.
Ein verträumter Blick auf den Wecker treibt mich dann aber doch schneller in die Senkrechte, als ich das eigentlich wollte.
'Verdammt, schon kurz vor 15:00 Uhr!'
Um halb vier haben wir einen Termin im Konferenzraum. Und packen müssen wir nachher auch unbedingt gleich noch.
Schon morgen wird unsere Blaue Reise dann wieder zu Ende sein.
Aus privaten Gründen ist es notwendig, dass wir unbedingt pünktlich und so früh wie möglich wieder zu Hause sind.
Daher haben wir gegen einen nicht unbedeutenden Aufpreis den "very urgent early priority check-out service" gebucht. Dieser Service wird ganz neu von TUI Cruises angeboten. Was dieser Service ganz konkret beinhaltet, wissen wir noch nicht. Da hält sich TUI noch bedeckt.
Aber ich habe mich trotzdem schon mal vorab informiert. Ich lese da nämlich seit einiger Zeit in so einem Kreuzfahrtforum mit.
Gerüchte aus angeblich glaubhafter Quelle behaupten ja in diesem Forum, dass es sich bei dem von uns gebuchten "very urgent early priority check-out service" um eine besonders exclusive Art der Abreise handelt.
Demzufolge würden die auf diesen Service gebuchten Gäste - sobald sich das Schiff dem Hafen auf eine Entfernung von drei Seemeilen genähert hat - von einer Privatyacht übernommen und vorab in den Zielhafen gebracht. Diese Yacht würde vom Staff Kapitän gesteuert werden und an der Pier in Kiel stünde dann schon jeweils eine Luxuslimousine deutscher Fabrikation bereit, um uns bis vor unsere Haustür zu fahren. Zeitersparnis mindestens 3 Stunden - wird in diesem Forum zumindest behauptet. Wir werden es testen.
Für heute Nachmittag aber haben wir uns erst Mal für eines dieser Exit Games angemeldet. Ihr wißt schon: so in etwa wie in einem Exit Room der Ausgang gefunden werden muss, geht es in einem Exit Game meist darum, in einer Gruppe ein Heft durchzuarbeiten, darin verschlüsselte Lösungen zu finden und am Ende der Schnellste zu sein.
Wir haben so etwas schon mal bei der vierbuchstabigen Konkurrenz mitgemacht - und es war ein Riesenfiasko. Unsere Gruppe bestand aus 5 blutigen Anfängern alle jenseits der fünfzig. Schon in die Aufgabenstellung hatten wir irrige Annahmen hinein projeziert.
Dementsprechend addierten wir die falschen Zahlen an den falschen Stellen und lösten die einzelnen Seiten des Buches in der falschen Reihenfolge. Trotzdem konnten wir am Schluss einige richtige Antworten auf die Fragen geben, was unseren damaligen Spielleiter zu dem Satz veranlasste: "Das das auch so funktioniert, hab ich ja noch nie gesehen!"
Uns wars egal. Wir hatten anderthalb Stunden Spaß und die größten Aha-Momente bei der Auflösung. Mit in etwa dem gleichen Anspruch werden wir die Sache heute auch angehen.
Als wir dann Richtung Kabinentür streben, um zum Konferenzraum zu gelangen, passiert es:
Die Luft zittert, sie schlägt richtig sichtbare Wellen und direkt vor unseren Augen löst sich die Tür der Kabine auf und wird durch eine geschlossene Wand ersetzt. Spinn ich....???
Nee, tu ich nicht. Ich kann die Wand anfassen, Göga kann sich mit seiner Schulter dagegen werfen. Die Tür bleibt verschwunden.
Ich bin ja eine eher praktisch veranlagte Frau. Von daher war mein erster Gedanke in dieser Situation nicht: 'Oh Gott, oh Gott, wie kommen wir hier jetzt wieder raus.' sondern 'Hoffentlich verschwindet die Klotür nicht auch noch!'
Nein, tut sie nicht - zumindest nicht im Moment.
Dafür wird der Fernseher plötzlich hell. Das Gesicht von Sascha H. erscheint, aber reden tut er wie Yoda.
"Euer Schicksal - ihr annehmen solltet!"
"Ideen - ihr nun haben müsst!"
"Dann ihr finden werdet - cool den Ausgang!"
Der Fernseher wird wieder schwarz.
'Und nu?'
Irgendwo in dieser Kabine muss es also einen Hinweis auf den Ausgang geben. Wir müssen ihn nur finden!
Wir fangen an, die Kabine zu inspizieren. Schubladen öffnen, Schränke öffnen, unter alle Deko gucken und hinter alle Bilder.
Nichts.
Einigermaßen ratlos schauen wir uns an.
Da wird der Fernseher wieder hell.
"Ziemlich am Ars.... - ihr seid!"
"Wohl überschätzt - ich euch habe!"
In dem Fernseher schließt Sascha H. halb seine Augen und seine Tütenöhrchen sinken traurig nach vorn.
"Bündeln - ihr müsst eure Macht"!
"Die Lösung - ihr dann cool finden werdet!"
'Boah!!! Der Kerl geht mir sowas von auf den S...Senkel!
Was faselt der da immer! Will der uns damit wirklich was sagen oder ist der einfach nur komplett durchgeknallt?'
"Wir müssen irgendetwas übersehen haben", suchend dreht sich Göga im Kreis. Plötzlich leuchten seine Augen auf: "Er hat zweimal "cool" gesagt! Was ist denn mit dem Kühlschrank?"
"Sehr klug - du bist! Probieren - wir sollten es."
'Hab ich das jetzt echt laut genau so gesagt?'
Göga geht vor dem kleinen Kabinenkühlschrank in die Knie und beginnt damit, ihn auszuräumen. Was er findet, reicht er mir zu.
Eine Kiste Bier...
Eine Kiste Bier...
Eine Kiste Bier...
'Äh - Moment mal! Ist das auch noch irgendwas anderes drin?'
Ja. Ist.
Eine Kiste anderes Bier...
Noch eine Kiste anderes Bier...
Und noch eine Kiste anderes Bier...
Dann reicht er mir ein Sechserpack kleine Cola-Flaschen zu.
'Das war so klar!'
Keine fünf Minuten später stapeln sich die Getränkekisten in unserer Kabine bis unter die Decke. Die Betten biegen sich unter der Masse der kleinen Mini-Schnapsfläschen.
"Ich glaube, hier ist etwas!", ziemlich weit weg und mit etwas Hall dringt Gögas Stimme aus dem Einbaumöbel, "komm mal rein hier!"
Es gibt so Sätze, bei denen würde ich die Hände dafür ins Feuer legen, dass sie so noch niemals in einem Reisebericht geschrieben worden sind und auch niemals wieder geschrieben werden.
Der Satz: "Furchtlos krieche ich in den Kühlschrank hinein.", gehört eindeutig in diese Kategorie.
Tiefer.
Immer tiefer.
Endlich sehe ich Göga.
"Ah, da bist Du ja.", sagt er zu mir. "Warte mal kurz!" Dann kriecht er zurück in die Richtung aus der ich gekommen bin. Als ich mich umdrehe, blicke ich auf Tausende von Kühlschranktüren hinter uns.
Göga macht gerade mit einem schwaren Edding ein Kreuz an die Tür aus der wir kamen.
Ich selbst habe keine Ahnung, wo wir lang müssen. Ich krabble einfach hinter Göga her und verliere dabei jedes Zeitgefühl.
Plötzlich öffnet er so eine Art Lüftungsschacht und wir purzeln auf die Brücke. Vorsichtig sehen wir uns um und gerade als wir uns fast sicher sind, hier allein zu sein, hören wir dann doch eine Stimme.
Eine gewisse Beatrice ohne bekannten Nachnamen nimmt gerade den Kapitän Sascha H. Maß.
Leider verstehen wir nur einige Wortfetzen.
"... lass doch mal den armen Jungen in Ruh...."
"... hast Du doch gar nicht nötig, Viktor..."
"... unter der Fuchtel von dem Alten genug gelitten ..."
Oh, Oh hier stören wir besser nicht! Obwohl mich schon interessieren würde, wer die Dame war und warum sie den Kapitän Viktor nannte.
Wir sehen zu, dass wir möglichst schnell wieder in dem Lüftungsschacht verschwinden. Kurze Zeit später stehen wir auf einem Kabinengang. An der nächst gelegenen Tür prangt ein Schild mit der Aufschrift "Captain's Suite".
Eintreten - wir tun.
'Oh Gott, hoffentlich verschwindet dieser Sprachfehler wieder!'
Wir schauen uns um und es verschlägt uns den Atem!
Mitten in einem Helene F. Gedenk-Zimmer sind wir gelandet, daneben gleich der Beatrice E. Raum, der mit der Andrea B. Kammer verbunden ist. Wirklich irritiert hat mich allerdings dann erst der Ross A. Salon mit der integrierten Karl Moik-Ecke.
Unser Florian S. steht im Eingangsbereich, hat eine Karaoke-Maschine laufen und singt mit Inbrunst "Atemlos". Aber leider mit neuem Text!
Atemlos auf dem Eis
Joeans Lächeln war der Preis
Atemlos nur wir zwei
Leider viel zu schnell vorbei
'Das ist nicht gut!
Das ist gar nicht gut!
Hoffentlich hat Göga davon nichts mitbekommen!'
Hektisch mache ich Anstalten, "Captain's Suite" wieder zu verlassen und kurz darauf kriechen wir erneut durch unzählige Gänge mit Kabelgewirr. Urplötzlich taucht vor unseren Augen wieder diese Wand mit den tausenden Kühlschranktüren auf. Nur leider befindet sich jetzt auf jeder dieser Türen ein schwarzes Edding-Kreuz.
Was soll's!
Wir nehmen einfach die nächstgelegene und reißen sie auf. Gleißende Helligkeit blendet unsere Augen.
Dann macht es plötzlich "Plopp" und wir stehen auf dem Flur unserer Wohnung.
Kein Zweifel! Das hier ist unser zu Hause.
Und noch während wir uns verwundert die Augen reiben, macht es plötzlich nochmal "Plopp" und "Plopp" und unsere Koffer stehen neben uns.
Das ist ja ein Ding!
Wie kann das sein?!
Plötzlich erzittert die Luft wieder, der schon bekannte Tunnel öffnet sich und aus ihm dringt leise Yodas Stimme zu uns: "very urgent early priority check-out service" - ihr gebucht hattet..."
Dann schließt sich das Raum-Zeit-Kontinuum endgültig.
Ist das zu fassen! Da kann man mal wieder sehen, wie verläßlich die Informationen sind, die man aus so einem Kreuzfahrtforum zieht!
Ich glaube, es ist nun doch an der Zeit, dass ich einen Artikel in diesem Forum schreibe und mir dort mal so richtig Luft mache. Einen Titel dafür habe ich schon: "Vorsicht bei Zusatzleistungen".
Göga sieht mich eine ganze Weile seltsam an.
Dann sagt er: "So. Nun mal Butter bei die Fische. Was genau lief da mit diesem Florian S.?!"
'Oh, oh...'
Und dies ist nun das Ende meiner Geschichte.
LG Joean
Ich danke allen, die diesen sehr speziellen Reisebericht gelesen, gelikt oder kommentiert haben.
Wenn man nicht wegfahren kann, muss man sich eben wegträumen. Ich hoffe, ich konnte dafür einige Anregungen liefern.